Gasknappheit – können sich Unternehmen gegen eine Gasrationierung zur Wehr setzen? | Fieldfisher
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Gasknappheit – können sich Unternehmen gegen eine Gasrationierung zur Wehr setzen?

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Germany

Der nachfolgende Beitrag verfolgt das Ziel, den Gasnotfallplan und insbesondere die rechtliche Dimension der 3. Stufe zu beleuchten und zeigt auf, dass die betroffenen Unternehmen im Ernstfall gegen die Entscheidungen der BNetzA nicht (rechts-)schutzlos wären (unter D.).

 

A. Einleitung

Uns allen ist bewusst: Die vollständige Unterbrechung der russischen Erdgaslieferungen an Deutschland ist nicht mehr ausgeschlossen. Robert Habeck hat die sogenannte "Alarmstufe" (2. Stufe des Gasnotfallplans) ausgerufen. Nun droht im Herbst oder Winter 2022 als ultima-ratio nur noch die Feststellung der "Notfallstufe" (3. Stufe des Gasnotfallplans). Aus Unternehmensperspektive ein Horrorszenario. Dem Staat – konkret der Bundesnetzagentur (BNetzA) – käme in diesem Fall die Mammutaufgabe zu, in das Marktgeschehen einzugreifen und das knappe Gas zu verteilen. Dazu steht ihr ein vielfältiges rechtliches Instrumentarium hoheitlicher Befugnisse zur Verfügung (unter C.). Ein Blick in die einschlägigen Rechtsgrundlagen und weiteren Unterlagen lässt hingegen Böses erahnen: Es mangelt derzeit (Stand: 19. Juli 2022) an einem rechtlich verbindlichen, detaillierten und konkret-individuellen Handlungskonzept der BNetzA, wie im Falle der Knappheit das Gas unter den deutschen Marktteilnehmern zu verteilen wäre – ein für die potentiell betroffenen ansässigen Unternehmen schier existenzbedrohender Zustand. Was bedeutet das für Unternehmen – und wie können sie sich gegen Entscheidungen der BNetzA wehren?

 

B. Die drei Alarmstufen des Gasnotfallplans

Wenn das Gas droht knapp zu werden, greift der Staat zum Gasnotfallplan. Er hat die Möglichkeit drei verschiedene Krisenstufen auszurufen; die Frühwarnstufe, die Alarmstufe und die Notfallstufe. Sowohl die Frühwarn- (30. März 2022) als auch die Alarmstufe (23. Juni 2022) wurden bereits in der jüngsten Vergangenheit durch den dafür zuständigen Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck ausgerufen.

Welche Kriterien vorliegen müssen, damit eine der Stufen ausgerufen werden kann, ist europäisch durch Art. 11 Absatz 1 der sogenannten SoS-VO (Verordnung (EU) 2017/1938 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 25. Oktober 2017) determiniert.

Danach liegt die am 30. März ausgerufene Frühwarnstufe vor, wenn konkrete, ernst zu nehmende Hinweise vorliegen, dass ein Ereignis eintreten kann, das zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt. Die Frühwarnstufe knüpft also nicht an eine tatsächliche Verschlechterung an. Es handelt sich vielmehr um eine Prognoseentscheidung auf unsicherer Tatsachengrundlage.

Im Gegensatz dazu liegt die am 23. Juni ausgerufene Alarmstufe (2. Stufe des Gasnotfallplans) bei einer außergewöhnlich hohen Nachfrage nach Gas oder einer Störung der Gasversorgung vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgung führt. Jedoch ist auf dieser Stufe der Markt noch in der Lage, die Störung oder Nachfrage zu bewältigen. Ein Eingreifen von staatlicher Seite ist insofern nur mittels nicht-marktbasierter Maßnahmen möglich.

Der Fokus dieses Beitrags soll jedoch auf der dritten Stufe des Gasnotfallplans, der Notfallstufe liegen. Diese Stufe ist immer dann erreicht, wenn eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas, eine erhebliche Störung der Gasversorgung oder eine andere erhebliche Verschlechterung der Versorgungslage vorliegt und alle einschlägigen marktbasierten Maßnahmen umgesetzt wurden, die Gasversorgung aber dennoch nicht ausreicht, um die verbleibende Gasnachfrage zu decken. Ab diesem Zeitpunkt kann die BNetzA auch erstmalig hoheitliche Maßnahmen ergreifen (ausführlich unter C.).

 

C. Stufe 3: die "Notfallstufe"

Besonderes Augenmerk ist im Folgenden auf die dritte Stufe zu richten, die sogenannte "Notfallstufe". Aufgrund der äußerst volatilen Lage am Gasmarkt kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass die Feststellung dieser Notfallstufe durch Rechtsverordnung der Bundesregierung festgestellt werden wird.

Von besonderer Schärfe für betroffene Unternehmen, Betriebe und Verbraucher sind dabei die Verfügungen, die auf aufgrund von § 1 Absatz 1 Gassicherungsverordnung (GasSV) erlassen werden können. Für den Erlass dieser Verfügungen wird regelmäßig die BNetzA als Bundeslastverteiler zuständig sein und in dieser Konsequenz hoheitlich in den Markt eingreifen.

Mögliche Adressaten solcher Verfügungen sind nach § 1 Absatz 1 GasSV Unternehmen und Betriebe, die Gas erzeugen, beziehen oder abgeben sowie Verbraucher. Damit sind u.a. sowohl die Gasverbraucher als auch die Gasversorger (z.B. Stadtwerke) im Falle der Notfallstufe von hoheitlichen Maßnahmen bedroht.

Im Falle des Ausrufs der Notfallstufe ist davon auszugehen, dass beispielsweise Anordnungen an Großverbraucher, ihren Gasverbrauch zu reduzieren, Anordnungen der Abschaltung von einzelnen Industriekunden sowie ganzer Gasnetze oder Anordnungen zur erhöhten Gasausspeicherung erlassen werden.

Dabei liegt es auf der Hand, dass die Anordnungen für die betroffenen Unternehmen und Betriebe existenzvernichtende Auswirkungen entfalten können. Gerade im Fall der Gasknappheit steht die BNetzA also vor der Mammutaufgabe, die begrenzte und begehrte Ressource hoheitlich möglichst effizient/gerecht auf die ("richtigen") Schultern zu verteilen. Absehbar ist, dass es zu Schäden kommen wird.

Doch derzeit mangelt es hingegen Stand jetzt (19. Juli 2022) an einem rechtlich verbindlichen und detaillierten Handlungskonzept der BNetzA, wie im Falle der Gasmangellage das Gas unter den ansässigen Verbrauchern zu verteilen wäre – ein für die potentiell betroffenen Unternehmen schier unerträglicher Zustand.

Zwar veröffentlichte die BNetzA am 17. Mai 2022 ein fünfseitiges Paper, in dem sie ihre Handlungsoptionen als Bundeslastverteiler sowie die groben Abwägungsmaßstäbe transparent gemacht hat. Allerdings fehlt es zum Zeitpunkt des Erlasses an belastbaren Daten, um ein detailliertes und einzelfallgerechtes Gesamtkonzept zu erstellen. 

Aus Unternehmensperspektive droht damit die Katastrophe in Form der Reduktion-/Stilllegungsanordnung: die BNetzA kündigte in ihrem Paper an, hoheitliche Maßnahmen gegenüber Letztverbrauchern derzeit nur im Wege von Allgemeinverfügungen und nur ratierlich erlassen zu können. Eine Allgemeinverfügung richtet sich nicht an einen bestimmten Empfänger (also beispielsweise nicht an Betrieb X oder Betrieb Y), sondern an Branchen in ihrer Gesamtheit. So könnte verfügt werden, dass in einer bestimmten Region alle Industriebetriebe beispielsweise der Automobilbranche einschließlich Zulieferern nicht mehr mit Gas versorgt werden (dürfen).

Ökonomische, ökologische und soziale Folgen können laut BNetzA erst adäquat berücksichtigt werden, "wenn mittel- oder langfristiger Handlungsbedarf entsteht". Welcher Zeitraum damit gemeint ist, bleibt dabei völlig unklar.

Wenn die Bundesregierung heute die Notfallstufe feststellen würde, würde sich die Abwägung der anzuwendenden Maßnahmen lediglich an groben Abwägungskriterien orientieren: Dringlichkeit der Maßnahme, Größe der betroffenen Anlage, Vorlaufzeit zur Gasbezugsreduktion, zu erwartende wirtschaftliche Schäden sowie die Bedeutung für die Versorgung der Allgemeinheit. Es wird aufgrund dieses unverbindlichen und groben Handlungskonzeptes zu Schäden kommen, die durch eine weitergehende Datenermittlung der BNetzA, hätten vermieden werden können.

Mit Blick darauf, wie elementar die Versorgung der deutschen Wirtschaft mit Gas ist, steht die Normenlage überaus schlecht dar und bietet ggf. eine Angriffsfläche für ein etwaiges Verwaltungsgerichtsverfahren. Auch vor dem Hintergrund, dass wesentliche Entscheidungen für die Gemeinschaft nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur auf Basis gesetzlicher Regelungen und vom Gesetzgeber vorgegebener Abwägungskriterien getroffen werden dürfen, wirft dieser unbestimmte, vage und nicht kodifizierte Katalog an Kriterien starke rechtliche Bedenken auf.

 

D. Rechtsschutz gegen Entscheidungen der BNetzA

Doch welche rechtlichen Abwehrmöglichkeiten hätten Unternehmen, die innerhalb der Notfallstufe eine existenzbedrohende Gasreduzierungsanordnung erhalten, von einer Netzabschaltungsanordnung oder sonstigen Verfügung betroffen sind?

Klar ist: Es gibt Rechtsschutz. Wie der im Einzelnen aussehen wird, hängt maßgeblich davon ab, wie die BNetzA handelt. Doch einige grundsätzliche Überlegungen sind jetzt schon möglich.

Grundsätzlich steht nach Art. 19 Absatz 4 des Grundgesetzes (GG) jedem Unternehmen der Verwaltungsrechtsweg offen – so auch gegen die Verfügungen der BNetzA. Mithilfe der Anfechtungsklage kann sich gegen die Allgemein- oder Individualverfügung gewehrt werden und die verwaltungsgerichtliche Überprüfung beantragt werden. Es gibt also den Gang vor die Verwaltungsgerichte – und dabei werden sicher auch die vagen Kriterien eine Rolle spielen. Die maßgeblichen Entscheidungen werden hierbei nicht in den Klageverfahren, sondern in den verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren getroffen werden. Unternehmen werden also Eil- und Klageverfahren erheben müssen. Denn Hauptsacheklagen nehmen mehrere Monate oder Jahre in Anspruch – bis dahin ist der Schaden eingetreten.

Heißt also: Betroffene Unternehmen müssen das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren suchen mit dem Ziel, dass a) die entsprechenden Verfügungen außer Kraft gesetzt werden und dass sie b) angemessen an den vorhandenen Gaskapazitäten beteiligt werden. Nur den Antrag auf Aufhebung der Verfügung der BNetzA zu stellen, wird voraussichtlich nicht reichen, da daraus noch keine Versorgung mit Gas erfolgt – es muss wohl noch ein weiterer Antrag hinzukommen, gerichtet auf eine angemessene Verteilung an den vorhandenen Kapazitäten.

Dabei wägen die Verwaltungsgerichte u.a. ab, ob die Entscheidung in einer Hauptsacheklage Aussicht auf Erfolg hat und ob ein Abwarten zumutbar ist. Die Gerichte prüfen die Sach- und Rechtslage summarisch und treffen vorläufige Anordnungen. Wer gute Gründe gegen die Entscheidung der BNetzA vorbringen kann, ist damit nicht chancenlos – zumal sich auch, wie oben aufgezeigt, tiefgreifende verfassungsrechtliche Fragen zum Handeln der BNetzA stellen werden.

Macht es Sinn, in die Verfahren zu gehen? Das kann jetzt niemand prognostizieren. Aber die Gegenfrage lautet: Soll eine harte Entscheidung mit gegebenenfalls existenzvernichtenden Folgen für den Betrieb einfach akzeptiert werden? Aus Sicht eines Geschäftsführers kann es hier sinnvoll sein, alle Mittel zu ergreifen, um Schaden abzuwehren – und damit auch das verwaltungsgerichtliche Verfahren. Wir rüsten uns jedenfalls mit unserer verwaltungsprozessualen Erfahrung bereits für solche Verfahren. Dabei können wir auf Erfahrungen aus hunderten verwaltungsgerichtlichen Verfahren zurückgreifen, auch solche, bei denen es für Unternehmen um existentielle Fragen ging.
 
Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten – wir hoffen, dass es nicht zu einem Gasnotstand für Deutschland kommt. Doch wir betrachten es als unsere Aufgabe, betroffenen Unternehmen im schlimmsten Fall zu helfen. Unverständlich ist derzeit die Untätigkeit des Gesetzgebers in dieser Frage – aber gleichzeitig bietet das auch eine Chance für betroffene Unternehmen.
 
 

Über den Autor

Dennis Hillemann ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner im Verwaltungsrecht (vor allem Verwaltungsprozessrecht) im Hamburger Büro von Fieldfisher. Er berät Unternehmen und den öffentlichen Sektor, vor allem in komplexen Rechtsfragen des Öffentlichen Rechts und bei Streitigkeiten. Er berät u.a. die Tree Energy Solutions GmbH (TES) beim Bau eines Import Terminals für verflüssigte Gase in Wilhelmshaven. Er ist zudem Experte für Fördermittel und hat Prozesserfahrung aus vielen verwaltungsgerichtlichen Verfahren.